Monday, July 26, 2004

Wochenende

Dieses Wochenende waren Lisas Eltern zu Besuch. Obwohl sie schon mehrfach in New York waren, waren sie noch nie auf Ellis Island. Das Museum auf Ellis Island ist immer wieder faszinierend. Die Geschichte der verschiedenen Immigrationen so vielfältig wie das Mosaik der aktuellen New Yorker Bevölkerung.
Es war für mich das erste Mal, dass ich mit Amerikanern nach Ellis Island kam (ja, es ist schon ironisch, dass ich als Neueinwanderer schon die meisten Ellis Island Besuche hinter mir habe). Lisas Urgroßeltern kamen irgendwann aus irgendwoher nach Ellis Island. Eigentlich ist die Familiengeschichte nahezu ausschließlich mit Fragezeichen geschrieben. Das einzige, was wirklich fest steht, ist, dass die Urgroßeltern über Ellis Island in die USA kamen.
Lisas Familiengeschichte ist nahezu biblisch. Es gibt keinen Blick zurück, der einen zur Salzsäule erstarren lässt. Europa ist hinter sich gelassen, ein neues Leben in der neuen Welt, bestimmt von harter Arbeit und der Hoffnung auf Freiheit und ein besseres Leben.
Lisa bringt es auf einen Punkt. Auch wenn man nicht weiß, welche Beweggründe ihre Urgroßeltern gehabt haben, Osteuropa zu verlassen, so haben sie doch eine weise Vorahnung gehabt und sind dadurch dem drohenden Schicksal der Shoa entgangen.
Meine deutschsprachige Familie fühlte sich besser integriert und wurde eine Generation später vertrieben.
Vertrieben wurde auch mein Freund Jacob, ein argentinischer Jude, der in den 70er Jahren auf der Flucht vor der Militärjunta nach New York kam, nachdem sein Sohn bereits ermordet wurde. Am Freitag traf ich Jacob und einen weiteren Freund von ihm zum Mittagessen. Obwohl der Altersunterschied zwischen uns 50 Jahre beträgt, ist Jacob ein guter Freund von mir. Mit seinem argentinischen Freund Alejandro spazierte ich anschließend durch die Lower East Side Manhattans, einem Stadtteil, der heute noch mit jüdischen Einwanderern aus Osteuropa assoziiert wird, auch wenn die Mehrheit der Einwohner heutzutage asiatisch ist.
Die Lower East Side war auch lange dem Virus der Vergessenheit verfallen, doch so langsam entwickelt sich ein Vergangenheitsbewusstsein für diese Gegend, das eine Wiederentdeckung dieses Stadtteils mit sich bringt.
Eines meiner vielen Projekte, die ich hier in New York angefangen habe, hat genau damit zu tun, aber davon wohl ein anderes Mal.

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